Alltag auf einer COVID-19 Intensivstation

Heute habe ich mit Carsten gesprochen, der auf einer COVID-19-Intensivstation in Frankfurt arbeitet.

Jeden Morgen, bevor er die Station betritt, legt er seine Schutzmontur, Latex-Handschuhe und FFP2 Maske an. Dann beginnt seine 12-Stunden-Schicht. Nach 8-10 Stunden lässt seine Konzentration nach, sagt er, der sonst immer 120% für seine Patient*innen da ist. Vieles kann man den Maschinen überlassen und der täglichen Routine. Nach Jahrzehnten in der Pflege sitzt jeder Handgriff. Aber Schwerkranke brauchen auch Ansprache. Das kann er zurzeit nicht leisten. Und die Erschöpfung ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Wenn er nach Haus geht, braucht er lange, bis er den Tag nach einer heißen Dusche hinter sich lassen kann. Auch genügen die freien Tage, zwischen den Schichten nicht mehr aus, um sich von den Stunden am Bett totkranker Menschen zu erholen. Aber weil sich die Betten auf den Intensivstationen in den letzten Wochen zu schnell gefüllt haben, fährt er an seinem freien Tag trotzdem in die Klinik, um weitere Stationen für eine intensivmedizinische Betreuung einzurichten.

Vielleicht setzen wir uns alle zu wenig mit der Realität auseinander. Die Bilder von beatmeten Patient*innen oder die Warnungen von der Überlastung unseres Gesundheitssystems in den Nachrichten scheinen nach Monaten mit COVID-19 sehr abstrakt. Für mich sind sie heute durch Carsten sehr real geworden. Aber die Situation war auch schon vor der Pandemie schwierig. Schon vor Corona fehlen nicht nur auf den Intensivstationen unserer Krankenhäuser deutschlandweit mehrere tausend Spezialpflegekräfte für die Intensivbetreuung. Normalerweise kommen auf einer Intensivstation auf eine Pflegekraft maximal 2 Patient*innen. Jetzt liegt das Betreuungsverhältnis mindestens bei 1:4. Aber nicht jede oder jeder ist auf einer Intensivstation einsatzfähig. Ein Beatmungsgerät beispielsweise ist ein hochkompliziertes Gerät, das nicht jeder bedienen kann.

Deshalb müssen die Maßnahmen zur Stärkung unseres Gesundheitssystems dringend überdacht werden, denn das ganze System ist bislang weder gerecht noch verlässlich. Und leider fallen viel zu oft die Interessen von Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen unter den Tisch. Das muss ich ändern und in Zukunft eine größere Priorität haben.

Man muss nicht erst auf einer Intensivstation gearbeitet haben, um Verantwortung für den anderen zu übernehmen. Jetzt sind wir alle gefragt, als Politiker*innen und als Gesellschaft.

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