Meine Rede zur Meinungsfreiheit und Vielfalt auf der Frankfurter Buchmesse

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Es ist ein Grundprinzip der Demokratie, dass auch diejenigen, die gegen Meinungsfreiheit sind, von der Meinungsfreiheit profitieren. Deshalb müssen wir hinnehmen, dass sich Menschen äußern, deren Meinung wir nicht teilen. Auch wenn sie sich zum wiederholten Male auf „Neutralität“ berufen, um sich als Opfer zu inszenieren. Eine wehrhafte Demokratie garantiert Meinungsfreiheit. Das unterscheidet sie von der Diktatur. Zur Demokratie gehört aber auch, dass sie klar gegenüber ihren Gegner*innen Position bezieht.

Heute möchte ich der Demokratie und der Meinungsfreiheit die Kunst selbst zur Seite stellen und meine Redezeit dazu nutzen, um Ihnen drei Autor*innen und Bücher vorzustellen, die 2022 ausgezeichnet wurden.

Zunächst habe ich Ihnen einen Roman der diesjährigen Georg-Büchner-Preisträgerin mitgebracht, auch weil ich noch ganz unter dem Eindruck der Preisverleihung stehe.

Als Emine Sevgi Özdamar 1976 Istanbul verlässt, beherrscht das Militär die türkische Gesellschaft.

Özdamar, Schauspielerin und Mitglied der Arbeiterpartei, hat dort keine Zukunft und geht nach Berlin. Dort arbeitet sie am Theater, lebt, liebt und sorgt sich, und wird letztlich Schriftstellerin. Ihr autobiografischer Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“, erzählt auf 750 Seiten von den 1970ern in Berlin und den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Türkei, bis zur heutigen Zeit. Der Roman ist so beklemmend wie inspirierend.

Emine Sevgi Özdamar spricht von einem Leben, in dem die Kunst Menschen über Grenzen hinweg verbindet. Einem Leben zwischen Istanbul, Berlin und Paris. Einem Leben in dem immer wieder die Verzweiflung über die gewalttätige Gegenwart hervor bricht. Aber sie spricht auch immer wieder über die Liebe zum Theater und die Liebe zu den Menschen. Ein Leben in dem die Kunst zur Heimat wird.

Am Ende verrät der Roman auch, was es mit dem Schreiben bei ihr auf sich hat, um sich zugleich über jene Kritiker lustig zu machen, die sich in der Vergangenheit gern mit der Frage beschäftigten, was an ihrem Schreiben denn nun türkisch sei. Deshalb möchte ich aus ihrem Roman zitieren:

„Das wunderbare deutsche Theater heilte auch meine krank gewordenen türkischen Wörter und versprach mir eine Utopie. Und jetzt, nach dreißig Jahren, waren meine deutschen Wörter krank. Wohin, wohin mit diesen krank gewordenen deutschen Wörtern? Ich sprach mit Karl auf Türkisch, ich sprach auf Französisch mit mir. Das half etwas, aber die deutschen Wörter wurden nicht gesund.“

Der Roman ist auch ein Stück europäische Geschichte. Ein poetischer Dialog zwischen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ging in diesem Jahr an den ukrainischen Punkmusiker und Schriftsteller Serhij Zhadan.

Einen Dichter gegen die Angst.

In einem Interview am Rande einer Lesung hat er etwas gesagt, was mich sehr berührt hat:

„Die Kultur darf nicht schweigen, auch nicht während des Krieges. Wenn die Kultur schweigt, wenn Schriftsteller nicht mehr schreiben, dann bedeutet das, dass die Angst gewonnen hat. (…) Aber es gibt ein Leben hinter der Front, dort ist das ganze Land. Und dieses Land kann nicht mit Angst, Hass und Verzweiflung leben. Die Menschen dürfen ihre Werte nicht verlieren. Und dazu kann Kultur beitragen. Wenn Schriftsteller schreiben, Musiker musizieren und im Theater gespielt wird, dann geht es nicht um Unterhaltung, sondern um ein erfülltes Leben. Und die Besatzer schaffen es nicht, dieses Leben zu stoppen.“

Sein Buch „Der Himmel über Charkiw“ handelt vom Überleben im Krieg. Für ein Tagebuch fehlt ihm die Zeit. Zhadan ist Tag und Nacht im beschossenen Charkiw unterwegs. Er evakuiert Kinder und alte Leute, verteilt Lebensmittel, koordiniert Lieferungen an das Militär und gibt Konzerte. Zahlreiche Posts in den sozialen Netzwerken dokumentieren seine Wege durch die Stadt. Sie sprechen den Menschen Mut zu, unermüdlich, Tag für Tag. Die Stadt leert sich, Freunde kommen um. Der Tod ist allgegenwärtig. Das Buch ist eine Chronik der laufenden Ereignisse. Das Zeugnis eines Menschen, der kein einsamer Beobachter ist, sondern ein aktiver Zivilist, in einer Gesellschaft, die gelernt hat, was es bedeutet, gemeinsam stark zu sein. Ein berührendes und zugleich wütendes Dokument, das ich Ihnen allen nur ans Herz legen kann.

Das dritte Buch im Bunde, wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichnet.

Es ist der Roman von Kim de l´Horizon, der den Titel „Blutbuch“ trägt.

„Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur nach einer eigenen Sprache“, so lautet das Urteil der Buchpreis-Jury. Die Erzählfigur stellt sich der eigenen Vergangenheit, stemmt sich gegen das Schweigen und spürt den traumatischen Erlebnissen von Mutter und Großmutter nach. Es geht um eine Geschichte der Angst, in der es viele Lücken gibt und noch mehr Ungesagtes, aber auch überraschende Queerness. Der Roman ist ein Befreiungsakt. Ein Befreiungsakt von Dingen, die wir ungefragt weitertragen: Geschlechter, Traumata und Klassenzugehörigkeiten. Das Buch rührt und verstört, durch eine Erzählweise, die sprachliche Grenzen zu überschreiten versucht. Ein Buch das provozieren will. Ein Buch, das seine eigene Sprache sucht.

Und auch aus diesem Buch, will ich einige Zeilen zitieren:

„Ich weiß nicht, wie ich mich sonst formulieren könnte als: ich weiß keine Sprache für meinen Körper. Ich kann mich weder in der Meersprache noch in der Peersprache bewegen. Ich stehe in einer Fremdsprache. Vielleicht ist das mit ein Grund für das Schreiben, für dieses zerstückelte, zerbröselde Schreiben. Dafür, dass aus meinen Händen nur Bruchstücke kommen, deren Kanten so versplittert sind, dass sich daraus keine smoothe, packende, glatt polierte Geschichte bauen lässt. Vielleicht ist dieses Schreiben die Suche nach einer Fremdsprache in den Wörtern, die einem zu Verfügung stehen. Der Versuch, einen zungengroßen Unterschlupf in das Bestehende, in das Vererbte hauen, groß genug, dass Mensch darin tanzen kann.“

Das Schreiben ist für Kim de l´Horizon immer auch, der Versuch ein Zuhause zu finden.

Ein Zuhause, das es vielleicht schon nicht mehr gibt, oder das es vielleicht erst noch zu erzählten gibt. Ein Zuhause, an dessen Suche wir beim Lesen alle teilhaben dürfen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wie falsch und menschenfeindlich wäre es, non binäre Personen, Russlandkritiker*innen oder türkischstämmige Autorinnen und ihre Verlage von der Buchmesse auszuschließen.

Wer auf der Buchmesse ausstellen darf oder nicht, ist übrigens die Entscheidung der Buchmesse selbst und rechtlich klar geregelt. Für uns ist es deshalb selbstverständlich, die Buchmesse als Fachmesse für Verleger*innen, Buchhändler*innen, Wissenschaftler*innen und Autor*innen zu unterstützen.

Und zum Schluss, sage ich Ihnen eines klar:

Als Demokratinnen und Demokraten werden wir ihrer These nicht unwidersprochen lassen. Es gibt in unserem Land keine gleichgeschaltete Kulturpolitik. Nicht auf der Buchmesse. Und überall sonst auch nicht.

Vielen Dank.

Das Video finden Sie hier.

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