Meine Rede zur documenta 15

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,

die documenta ist eine öffentliche Angelegenheit. Das begründet ihre Relevanz. Das hat aber auch Konsequenzen.

Dass antisemitische Bildsprache auf der documenta 15 gezeigt wurde, ist ein inakzeptabler Tabubruch. Dieser Tabubruch hat nicht nur die Jüdinnen und Juden in unserem Land – sondern weltweit – erschüttert und entsetzt. Er hat uns alle erschüttert und entsetzt. Und das kann so nicht stehenbleiben.

Deshalb möchte ich zu Beginn meiner Rede noch einmal etwas Grundsätzliches betonen: Antisemitismus hat keinen Platz in Deutschland und auch sonst nirgendwo auf der Welt. Das gilt auch (und im Besonderen) für anti-israelischen Antisemitismus. In unsere Geschichte ist die Shoa eingebrannt. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung für uns alle. Und wenn wir es ernst meinen mit dieser Verantwortung, dann müssen wir Antisemitismus mit allen Mitteln bekämpfen – nicht nur in unserem Land sondern auch in globalen Zusammenhängen. Schweigen ist keine Option. Da wo Antisemitismus geäußert wird, müssen wir laut werden. Da wo Unrecht geschieht, müssen wir unsere Stimme erheben. Um des Unrechts der anderen Menschen, aber auch um unserer selbst Willen.

Es gehört zu unserem kulturpolitischen Konsens, dass wir die Kunstfreiheit dadurch sichern, dass Kultureinrichtungen und ihre Kuratoren volle Freiheit haben. Es gibt kein Recht, ausgestellt zu werden. Aber es gibt das kuratorische Recht zu entscheiden, was ausgestellt wird und was nicht. Diese Entscheidung ist aber nicht voraussetzungsfrei. Nein.  Diese Entscheidung hat ihre Grenzen in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und in der Menschenwürde. Zumutungen in der Kunst haben ihre Grenzen.

Antisemitische, rassistische oder anderweitig gruppenbezogene menschenfeindliche Diffamierungen können sich nicht auf die Meinungs- oder Kunstfreiheit beziehen, denn sie verstoßen gegen den Konsens, der diese Freiheiten ermöglicht. Freiheit, auch die künstlerische oder kuratorische Freiheit, ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Auch taugt diese Grenzüberschreitung nicht dazu, den Vorfall zu skandalisieren oder politisch Kapital daraus zu schlagen. Auch in der Politik und gerade hier gelten Grenzen.

Statt also vordringlich nach personellen Konsequenzen zu rufen oder den „Skandal“ für eigene Propaganda zu nutzen –  wie die AfD – müssen die Fehler jetzt erst einmal analysiert und dringende Fragen geklärt werden – jenseits aller Spekulationen. Und ehrlich gesagt, ist der Antrag der SPD ziemlich dreist. Jetzt die Landesregierung dazu aufzufordern, in einen konstruktiven Dialog mit allen Verantwortlichen zu treten, finde ich sehr vermessen. Die Staatsministerin macht das schon seit Januar! Immer wieder und unermüdlich.

Nicht so der SPD Oberbürgermeister von Kassel – der Aufsichtsratsvorsitzender der documenta ist! Der hielt es nicht einmal für notwendig, sich der Debatte im Bundestag zu stellen. Er hatte ja wichtigeres zu tun. Es ist bezeichnend, dass er – der Aufsichtsratsvorsitzende – mit keiner Silbe im Antrag der SPD erwähnt ist. Auch greift der Antrag ohnehin viel zu kurz.

Wir brauchen jetzt ein Expertengremium. Nicht perspektivisch oder irgendwann, sondern jetzt!
Richten Sie also lieber Ihren Appell an Herrn Geselle, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, vielleicht ist er dann endlich bereit seine Verantwortung auch wahrzunehmen. Der Kollektive Prozess als eigentliches Kunstwerk. Dieser Ansatz der documenta 15 klang spannend – ganz anders, als wir es gewohnt sind.

Kunst soll sich konsequent der Öffentlichkeit stellen um zu irritieren und zu transformieren. So hat es das Kuratoren-Kollektiv angekündigt. Aber ein solcher Ansatz birgt auch Risiken. Und daraus hätte man die richtigen Schlüsse ziehen müssen. Leider ist das nicht passiert. Weil ohne verantwortungsvolle/wahrnehmbare Struktur in der Organisation alle guten Ideen zum Scheitern verurteilt sind.

Dass die documenta ein Problem mit ihren Strukturen hat, ist spätestens seit 2018 hinlänglich bekannt. Hinzu kommen nicht geklärte Zuständigkeiten, fehlende internationale Expertise und diffuse Verabredungen. Der Projektprozess wurde nicht ausreichend begleitet. Das Kuratoren-Kolletiv und die Künstlerinnen und Künstler nicht ausreichend sensibilisiert. Das hätte auch bedeutet Expertise einzuholen. Auf allen Ebenen. Auch auf der des Aufsichtsrates.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass verschiedene Vorschläge von Bund und Land für das Hinzuziehen externer Expertise ohne weitere Diskussion abgelehnt wurden. Bereits unmittelbar nach den ersten Antisemitismusvorwürfen im Januar haben Bund und Land vorgeschlagen, ein Gremium aus Fachleuten der Antisemitismusforschung und Kunst zur Beratung im Vorfeld der documenta heranzuziehen. Diese Unterstützung wurde ausgeschlagen.

Auch der Vorschlag einer beratenden Task-Force zur Krisenintervention wurde leider nicht aufgegriffen. Immer wieder wurde seitens der documenta versichert, dass es keine antisemitische Bildsprache gebe. Trotzdem wurden keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Stattdessen wurde der Vorwurf von Zensur geäußert. Den Projektprozess verantwortungsvoll zu begleiten, hätte aber nichts mit Zensur zu tun gehabt. Es hätte bedeutet, sowohl dem Kuratoren-Kollektiv als auch den ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern zu vermitteln, wo grundgesetzliche Schranken, gesellschaftliche Erwartungen, Diskurse und Meinungen in Deutschland verlaufen. Es hätte auch bedeutet, umgekehrt in unser Land hinein zu vermitteln, mit welchen neuen Ansätzen, Positionen und Brüchen wir auf der documenta 15 konfrontiert werden. Und es hätte bedeutet – und das ist meiner Meinung nach am wichtigsten – beide Perspektiven miteinander in Verbindung zu setzten und sich darauf zu verständigen, wo die Menschenwürde, besonders die Würde unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und des Landes Israel ihre Grenzen hat.

Angesichts der kuratorischen Katastrophe ist jetzt Aufklärung notwendig. Deshalb begrüße ich, dass am Freitag eine Sonder-Aufsichtsratssitzung auf Drängen von Staatsministerin Dorn einberufen wurde. Was jetzt zählt, ist der gemeinsame Wille die Ursachen auch wirklich aufzuklären und Fehler zu markieren.

Denn nur so ist auch eine grundlegende Strukturreform der documenta möglich. Und ich hoffe sehr, dass Verantwortung dann nicht weggeschoben, sondern – da wo eigene Fehler passiert sind – auch übernommen wird. Denn Verantwortung bleibt – sie lässt sich nicht wegdiskutieren.

Die documenta ist nicht nur der Stolz der Stadt Kassel, oder der von Hessen, sondern sie ist als internationale Kunstausstellung, für die Kunst und Kultur weltweit von Bedeutung. Damit das so bleibt, müssen wir jetzt die Chance wahrnehmen sie zu erneuern. Strukturen müssen überarbeitet, Zuständigkeit festgeschrieben und Verantwortlichkeiten benannt und auch angenommen werden. Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden. Nur so können wir auch über andere, uns vielleicht fremde Positionen, vertrauensvoll und offen diskutieren. Nur so gibt es eine Zukunft für die documenta.

Dann ist der Blick auch wieder frei für das, was die documenta 15 auch ist: Eine Kunstausstellung mit internationalem Rang, die so bislang in Deutschland nicht zu sehen war. Eine Kunstausstellung, die zu Debatten über Kunst, künstlerische Ausdrucksformen und Positionen einlädt und uns gesellschaftliche Utopien lehrt.

Eine Kunstausstellung, die immer noch eine Chance hat, die Sichtweisen des globalen Südens und Nordens in Dialog zu setzen. Wir können uns dafür begeistern. Wir können uns daran reiben. Und natürlich können wir auch darüber streiten. Aber immer auf einer Grundlage, die wir zuvor gemeinsam vereinbart haben.

Dazu müssen wir uns auch darüber verständigen, was Freiheit, Verantwortung und Respekt im kulturellen Diskurs heute bedeuten. Faktenbasiert, konstruktiv und respektvoll – auf Augenhöhe und im Dialog. Dafür möchte ich eintreten. Auch für die Künstlerinnen und Künstler, die hier auf der documenta das zeigen, worum es uns allen wirklich gehen sollte: Menschenwürde, Mitmenschlichkeit, Solidarität und den Schutz derjenigen, die von Anfeindungen bedroht sind.

Vielen Dank.

Das Video zur Rede findet Ihr hier.

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